28. Oktober 2022
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Zu unserer großen Bestürzung ist Hannah Pick-Goslar im Alter von 93 Jahren verstorben. Hannah oder Hanneli, wie Anne sie in ihrem Tagebuch nannte, war eine von Anne Franks besten Freundinnen.
Die beiden Mädchen kannten sich schon seit dem Kindergarten. Am 14. Juni 1942 schrieb Anne ins Tagebuch: „Hanneli und Sanne waren früher meine beiden besten Freundinnen, und wer uns zusammen sah, sagte immer: Da laufen Anne, Hanne und Sanne.“ Hannah berichtete bis ins hohe Alter von ihren Erinnerungen an die Freundschaft mit Anne und davon, was sie selbst im Holocaust erlitt. Alle sollten wissen, was mit ihr und ihrer Freundin Anne von dem Moment an geschah, an dem Annes Tagebuch abbricht, so furchtbar diese Geschichte auch ist.
Dicke Freundinnen
Hannah Goslar wurde am 12. November 1928 im Berliner Bezirk Tiergarten geboren. Als 1933 die Nazis an die Macht kamen, emigrierte die Familie. Zuerst lebten sie in London, dann in Amsterdam. Dort wohnten sie in der Nachbarschaft der Familie Frank am Merwedeplein. Hannah und Anne besuchten gemeinsam den Kindergarten und die 6. Montessorischule und später das Jüdische Lyzeum. Sie wurden dicke Freundinnen und spielten auch oft zu Hause miteinander. Hannah erzählte darüber: „Meine Mutter hat Anne Frank gut beschrieben. Sie sagte: ‚Gott weiß alles, aber Anne weiß es besser.‘“
Bergen-Belsen
Anne Frank und ihre Familie tauchten 1942 unter und versteckten sich im Hinterhaus an der Prinsengracht. Hannah zog 1937 in die Zuider Amstellaan, wo sie bis zum Juni 1943 wohnte. Dann wurde sie zusammen mit ihrem Vater – ihre Mutter war bei der Geburt des dritten Kindes, das tot zur Welt kam, gestorben –, ihren Großeltern und ihrer kleinen Schwester Gabi in das Lager Westerbork deportiert und von dort aus im Februar 1944 in das KZ Bergen-Belsen. Dort begegnete sie im Februar 1945 Anne Frank, kurze Zeit bevor Anne starb. Hannah und ihre Schwester Gabi überlebten als Einzige ihrer Familie die Gräuel der Konzentrationslager.
Meine beste Freundin Anne
Hannah emigrierte 1947 in das damalige Palästina (heute Israel) und wurde dort Krankenschwester. Sie heiratete Walter Pick und das Paar bekam drei Kinder, elf Enkelkinder und einunddreißig Urenkel. Sie sagte darüber: „Das ist meine Antwort auf Hitler.“
Als Hannah gefragt wurde, ob sie von ihren Erinnerungen an Anne erzählen wolle, musste sie erst darüber nachdenken, da viele Erinnerungen so schmerzlich waren. Aber es war ihr wichtig, über das Geschehene zu berichten. Eineinhalb Millionen Kinder wurden wie Anne und Margot Frank ermordet, weil sie Juden waren. Hannah empfand es als ihre Pflicht, von Anne und vom Holocaust zu erzählen, „weil ich überlebt habe und Anne nicht“.
1997 schrieb Alison Leslie Gold Hannahs Geschichte in dem Buch Erinnerungen an Anne Frank auf. 2021 erschien der Film Meine beste Freundin Anne Frank von Ben Sombogaart. Der Film zeichnet Hannahs und Annes Freundschaft während des Zweiten Weltkriegs nach.
Dankbar
Hannah Pick-Goslar hat dem Anne Frank Haus viel bedeutet, und wir konnten uns jederzeit an sie wenden. Das letzte Mal, als sie im Anne Frank Haus war, war im Oktober 2012 bei der Eröffnung der Wechselausstellung „Jetzt bin ich also fünfzehn“. Fotos, Briefe und Bücher von Anne Frank. In dieser Ausstellung waren Fotos von Hannah und Anne zu sehen, und Hannah erzählte in einem kurzen Video von ihrer Freundschaft mit Anne.
Wir wünschen Hannahs Angehörigen und Freunden viel Kraft bei diesem großen Verlust.
Artikel über Hannah Goslar im Anne Frank Magazine von 1998:
Interview mit Hannah über ihre Begegnung mit Anne im Kindergarten, aus dem Dokumentarfilm „Anne Frank remembered“ von Jon Blair, Dezember 1994:
Interview mit Hannah über ihre letzte Begegnung mit Anne in Bergen-Belsen, aus dem Dokumentarfilm „Anne Frank remembered“ von Jon Blair, Dezember 1994: